Die Sache mit dem Netzwerk. Ob Berufseinsteiger oder Berufsveteran, die Wichtigkeit eines stabilen Netzwerkes – Networks – ist in jeder Phase der eigenen Karriere unumstritten. Doch die Tipps und Methoden zum Aufbau eines solchen gehen stark auseinander. Ein großer Unterschied dürfte darin bestehen, dass die eine Hälfte darauf schwört, dass Live-Events (Messen, Vorträge, Thementage) die beste Gelegenheit sind, um sich persönlich vorzustellen und im Gedächtnis zu bleiben. Die andere Hälfte wiederum gibt zu bedenken, dass auf solchen Events die potenziellen Kontakte ohnehin von einer Flut an Informationen überhäuft werden, so dass man eher in Vergessenheit gerät und die in die Hand gedrückte Visitenkarte im Papiermüll landet, man also sein Netzwerk eher über Online-Kanäle ausbauen kann. Ich gehöre zur zweiten Fraktion. Denn obwohl ich ein offener Mensch bin und leicht ins Gespräch komme, habe ich auf Live-Events nie gute Gelegenheiten zum Netzwerken vorgefunden. Entweder waren die Teilnehmer in den Pausen mit sich selbst, ihren Smartphones und Laptops beschäftigt. Oder sie waren ohnehin schon in einer Gruppe gekommen, die sich abschottete und mit sich selbst netzwerkte. Oder es gab keine freien Termine mehr, um sich auf Messen vorzustellen. Deshalb ziehe ich es vor, mein Netzwerk über soziale Kanäle zu erweitern, mit Retweets und Likes und Shares Aufmerksamkeit zu generieren und meine Posts, Interessen, Schlagwörter für mich sprechen zu lassen. Das klappt natürlich nicht in allen Branchen, aber in der Welt der Medien, des Consultings, des Marketings, der Start-Ups funktioniert es.
Ver-netzwerken
Bleiben wir bei den Online-Kanälen. Wie man dort nun am besten Kontakte knüpft, auch darüber herrscht weitestgehend Uneinigkeit. Seitdem ich Moderator einer Studentengruppe in einem professionellen sozialen Netzwerk bin, beteilige ich mich seit Langem zum ersten Mal wieder an Diskussionen in Foren und bin dort auf ebendieses Thema gestoßen. Meine bisherigen Beobachtungen: Es sind eher die älteren Semester, die sich an den Diskussionen beteiligen, wohingegen die Jüngeren – die Studenten, also das Zielpublikum dieser Gruppe – sich eher zurückhalten.
Vielleicht liegt das daran, dass wir Jungen es eher gewohnt sind, uns in anderen Modi mitzuteilen. Die Kommunikationswissenschaft kennt Modelle wie „one-to-one“ (E-Mail) oder „one-to-many“ (Antwort auf einen Beitrag in einem Diskussionsforum). Ich würde, ohne nachgelesen zu haben ob es diese Modelle bereits gibt, die Kommunkation der Digital Natives als „one-to-any“ bezeichnen, also einer sendet und irgendjemand (oder irgendetwas, so wie eine Suchmaschine) empfängt die Nachricht. Wenn ich meinen Twitter-Stream mit meinen Blogposts füttere, dann weiß ich nicht, wer das Ganze liest: Meine Leserschaft ist anonym, also „anyone“, irgendjemand. Andersherum sind Newsletter meiner Ansicht nach Tools der Kommunikation „any-to-one“ – sie landen in meinem Postfach, aber ich habe nicht die leisteste Ahnung, wer eigentlich der Absender ist und welche Kriterien oder Metriken dahinterstecken, das ich genau diese Angebote geliefert bekomme (wenn ich sie nicht bewusst so ausgewählt habe). Die „Your weekly ello“ E-Mail ist ein gutes Beispiel dafür.
Diese Vorgänge wiederum beeinflussen unsere allgemeine Online-Kommunikation. Wenn ältere Semester noch mit Mailinglisten und den ersten Foren aufgewachsen sind, so sind wir mit den Web 2.0-Tools aufgewachsen, die es uns ermöglichen, unsere eigenen Online-Identitäten aufzubauen, ohne jemals über eine geteilte Plattform in den Dialog treten zu müssen. Mein Twitter-Feed gehört nur mir, da muss ich nicht auf Posts von anderen reagieren, wenn ich nicht will. Ich streue die Kommunikation von einer Quelle aus auf verschiedene Seiten. In klassischen Diskussionsforen ist es aber eher so, dass viele verschiedene Quellen der Kommunikation (sprich: Menschen) sich auf einer Seite gruppieren und dort über ein Thema sprechen. Man kommt viel mehr auch mit den Menschen hinter den Posts in Berührung, knüpft Kontakte, schließt vielleicht sogar Freund- und Feindschaften. Auf meinem Twitter-Feed bin ich von alledem nicht betroffen; zwar kenne ich einige meiner Follower und freue mich, wenn mir ein neuer User folgt, oder mein Tweet einen Retweet / Favorite von dem- oder derjenigen erhält, den oder die ich in meinem Tweet benannt habe. Aber die Kommunikation ist viel unverbindlicher, viel gestreuter, viel weniger direkt. Ich muss nicht antworten, wenn ich nicht will. Ich muss nicht netzwerken, wenn ich nicht will.
Was ich mit dem Begriff „ver-netzwerken“ meine, schließt an diese Überlegungen an: sich ver-zetteln, sich ver-tun, sich ver-greifen im Ton, sich also auch ver-netzwerken. Jeder netzwerkt anders und jeder muss seinen eigenen Weg finden, um sein Netzwerk online effizient aufzubauen.
- Durch „Kaltaqkuise“, indem man sich bei Firmen oder für Projekte bewirbt
- Über den Umweg der gemeinsamen Kommunikation in einem Forum
- Durch direkte Ansprache (selbst vielbeschäftigte Menschen reagieren doch bisweilen auf Zuschriften jedweder Art)
- Durch Sichtbarkeit mit Profil in professionellen oder privaten sozialen Netzwerken
- Durch die kostenlose Bereitstellung von Inhalten, die anderen Menschen von Nutzen sein können (z.B. kostenlos Nutzbare Fotos, Programmiercode, Blogposts mit interessanten Inhalten)
- Oder eben durch die Bereitstellung eines von einem selbst ausgehenden Kommunikationsflusses, über den jemand auf einen aufmerksam wird
Vermutlich gibt es noch weitere Optionen, die hier anzuführen sind. Das übergeordnet Praktische dabei ist, dass jeder so für sich entscheiden kann, wie und wo und in welcher Form er netzwerkt, um sich nicht zu „ver-netzwerken“, sprich Mittel und Wege zu nutzen, die ihm gar nicht liegen oder gefallen.
Netz und Werk
Wenn ich meine Kontakte auf diversen Seiten betrachte, dann finde ich es einerseits schön, dass es eine gewisse Anzahl an Menschen gibt, die in meiner Galaxie wie kleine oder größere Sterne (manchmal auch wie schwarze Löcher) existieren. Mit manchen verbinden mich Erfahrungen im echten Leben, mit den meisten nicht. Manche sind berufliche Kontakte, manche Bekanntschaften, wenige sind echte Freunde. Einige wissen gar nicht mehr, wer ich bin, so wie auch ich nicht weiß, wer sie sind und woher wir uns kennen. Aber sie alle könnte und kann ich aus unterschiedlichen Gründen kontaktieren. So ein Netz ist also auch an sich ein Werk, das einzigartig ist. Doch im Gegensatz zu einem Gemälde ist ein Netz nicht statisch; es verändert sich stetig, fast schon organisch. Mal werde ich irgendwo gelöscht, mal entfolge ich wo ich zuvor verfolgt habe. Es ist unmöglich, das ganze Netzwerk stets im Blick zu haben, oder aus jedem Kontakt den optimalen Nutzwert zu ziehen. So möchte ich mein Netzwerk auch gar nicht sehen. Für mich ist es eine Aneinanderreihung und Verkettung verschiedener Persönlichkeiten, die allesamt mein Leben irgendwann irgendwie berührt haben – und sei es nur, dass ich mit ihnen eins die Idee eines potenziellen neuen Jobs verbunden habe, oder sie mir aufgrund eines Beitrags online irgendwie einmal aufgefallen sind. Ein Netz besteht aus Menschen. Man sollte es nutzen, aber nicht missbrauchen. Denn ein Kontakte-Netzwerk ist kein Spinnennetz, in dem jeder zur Beute wird.
Netzwerk-en
Das „en“ hinter dem Bindestrich steht hier dafür, dass die englische Sprache für immer mehr Branchen, Bereiche, Berufe, Beziehungen wichtig ist und wird, wo sie es bis dato noch nicht war. Das ist insofern großartig, als dass es sprachliche Barrieren ausräumt – wobei die kulturellen Unterschiede dadurch nicht einfach ausgeklammert werden können. Doch weder vor Sprache noch vor fremden Kulturen sind Scheu oder gar Angst angebracht. Schließlich geht es uns allen so: Wir vernetzen uns mit Menschen, deren Geschichte wir nur teilweise kennen, oft auch nicht kennenlernen werden. Die wir sprachlich oder kulturell nicht zu einhundert Prozent verstehen – und die doch allesamt auf ihre Weise unser Spektrum erweitern, unseren Erfahrungsschatz bereichern.
The Net Works
Mein Fazit ist nach wie vor, dass das Netzwerken über das Netz gelingen kann. The Net Works, das Internet funktioniert. Dafür ist es natürlich vonnöten, sich selbst auch angemessen zu präsentieren, um die Aufmerksamkeit derer zu erlangen, mit denen man sich gerne vernetzen würde. Womit sich die Frage nach der richtigen Balance zwischen Bereitstellung (der eigenen Kapazitäten), Selbstdarstellung (der eigenen Fähigkeiten), Zurschaustellung (mit der Gefahr der Selbstverherrlichung), Herstellung (von relevanten Kontakten), Feststellung (das Ganze kostet Zeit und Mühe), Habachtstellung (wer sieht mich?) und Unterstellung (des übertriebenen Aufbauschens) stellt. Aber sind das nicht eigentlich auch die ganz alten Herausforderungen des Netzwerkens, denen wir uns auch offline jeden Tag stellen?