Darf ich vorstellen? Das sind Hyperion, Launch, Ghost und Ravenna, meine treuen Laufbegleiter. Gefunden habe ich sie, nachdem ich mir mit einem Paar Asics-Stabilschuhen und zu wenig Dehnen die linke Wade ruiniert hatte (Schienbeinkantensyndrom vorne, Muskelfaseranriss hinten – dreieinhalb Wochen Laufpause und kein Halbmarathon am 25.6., auf den ich seit Ende Februar mit dem Polar V800* hintrainiert hatte (stattdessen war ich mit dem MTB im strömenden Regen unterwegs, als die LäuferInnen gestartet sind). R. K. läuft seit jeher Obstacle Races im schwarzen Anzug mit Brooks, also bin ich auf den Zug aufgesprungen (bis auf den schwarzen Anzug und die Obstacle Races) und habe meine kleine Schuhsammlung (40 Paar) um vier Paar Brooks erweitert, das Laufprogramm des Polar V800 auf den 8.10. neu programmiert und dehne mittlerweile nahezu evangelisch nach jedem langen Lauf (> 21.1km). So viel zum Titelbild. Das hat zwar noch nichts mit der Überschrift zu tun, but we’ll eventually get there.
Eigentlich sollte die Überschrift „Laufen verpflichtet“ lauten oder „Der obligatorische Beitrag übers Laufen“ oder „Wovon ich laufe, wenn ich vom Laufen laufe“ (in Anlehnung an Murakamis Memoiren). Denn seitdem ich ernsthaft laufe (Ende Februar), mache ich mir auch ernsthafte (und viel zu viele) Gedanken übers Laufen. Natürlich löchert man Dr. Google und sämtliche Ärzte im näheren Umfeld, wenn irgendwo irgendetwas zwickt und man aber eigentlich nicht zum Orthopäden gehen möchte, weil man nicht gesagt bekommen will, man solle doch mal weniger laufen. Man verliert sich in Beschreibungen von Pronation und Supination, in Berichten über Wehwehchen und Verletzungen, staunt leicht angewidert ob der anschaulichen Beschreibung des Kotzvorgangs nach der Zuführung von Powergels (kann ich nicht bestätigen), beschafft sich Bücher, die zu lesen man leider doch keine Zeit hat (danke an M. L. und M. W. für die Tipps), versucht sich an der Laufstilverbesserung in Eigenregie, kauft sich viel zu viel Zeug für die Lauferei und läuft dann auch viel zu viel – und stößt schlussendlich auf tausenduneinen Blogbeitrag zum Laufen, wie zum Beispiel auf diesen hier: 50 Lessons Learned from a 50-Day Run Streak. Die Lektüre dieses Beitrags fiel in etwa mit dem unrühmlichen Ende meiner 90-Tage-Laufserie (27.02. bis 26.05., wenn ich mich nicht verrechnet habe) zusammen und 90 Learnings waren es dann doch nicht, eher nur eine Handvoll:
- HM schneller laufen = kürzer laufen & weniger anstrengend = eher etwas zu essen bekommen
- Nicht dehnen = Wade kaputt
- Jeden Tag laufen = Stagnation des Leistungszuwachses & schwere Beine = weniger Spaß beim Laufen
- + 1 Schuhgröße = keine Blutergüsse unter den großen Zehennägeln = hübschere Füße im Sommer
- Lied mit passendem Beat in Endlosschleife = Kopf Matsch, Beine motiviert
- Das Wort „Gehpause“ hat es noch nicht in meinen Wortschatz geschafft, „Zwangspause“ dafür schon
- Jeder Magen gewöhnt sich an Distanzen > 21.1km
- Intervallläufe sind hassenswert, aber sie helfen wirklich bei der Steigerung der Grundgeschwindigkeit
Nach der Zwangspause kamen dann noch diese Learnings hinzu:
- Richtig lange Läufe plant nimmt man sich am besten erst gar nicht vor, sondern macht sie einfach aus Versehen
- Nach einem Intervalllauf locker weiterlaufen ist eine gute Möglichkeit, die allgemeine Stamina zu steigern
- 1,0-1,5% Steigung auf dem Laufband sind ideal und ein Cool-Down in Form von Gehen bei 15% Steigung (ca. 4,5 km/h) gibt den Beinen den Rest
- Ein Powergel mit Koffein fühlt sich so an, als würde einen jemand anschieben
- Trailrunning ist großartig, an der Isar laufen ist großartig; insbesondere dann, wenn man immer wieder morgens ganz früh denselben Menschen begegnet und sich verschwörerisch zunickt (… oder so)
- Auch der bestbelüftete Schuh ist nach > 2h auf dem Laufband völlig durchnässt und die schmatzenden Geräusche beim Laufen sind nur dank Headset erträglich
- Nach Läufen > 25km ist die Haut an Rücken und Bauch dermaßen irritiert, dass nur noch eine halbe Flasche frei-Öl, MucOff-Chamois-Cream oder Bepanthen gegen die Rötungen helfen
Natürlich schwingt beim Laufen immer die Sorge mit, dass die nächste Verletzung um die Ecke lauert (rechtes Knie Innenseite, bitte keine Fisimatenten machen), oder dass das Herz dem Wahnsinn ein Ende setzt (sollte es zwar in meinem Alter nicht, aber was weiß man denn schon). Leider neigt man zusätzlich noch dazu (ich zumindest), die Finger nach dem nächsten Ziel auszustrecken, wenn man feststellt, dass man – momentan zumindest – jeden zweiten Tag 21,1 Kilometer laufen kann. Ich hatte den V800 zwar auf den Halbmarathon am 8.10. programmiert, aber mittlerweile vermute ich, dass ich den Marathon angehen werde und davor vielleicht noch zwei Halbmarathons laufen werde – oder ein Trailrunning Camp mitmache, solange die Motivation drei Meter über mir schwebt (vielleicht verwechsle ich Motivation auch mit Ego oder mit Leichtsinn, Wahnsinn, leichtem Wahnsinn, man weiß es nicht).
Wenn ich den Text bisher so überfliege, liest sich das alles wie der Bericht einer Viertklässlerin, die am ersten Schultag des neuen Schuljahrs erzählen soll, was sie in den großen Ferien so gemacht hat. Wobei ich damals den ganzen Sommer über nur gelesen und geträumt habe, wenn ich mich recht erinnere. Und wir waren vermutlich in Italien oder in Österreich. Klammer zu. Jetzt aber zur Überschrift:
Wenn ich laufe, dann denke ich manchmal, ich sei ein Fahrrad.
Vermutlich wird auch dieser Abschnitt den schau-was-ich-gemacht-habe Bericht nicht auf eine höhere philosophische Ebene hieven, aber glücklicherweise muss nicht immer jeder Text nur so vor Intelligenz strotzen (oder triefen, je nachdem, wo sie einem gerade herauskommt). Ich finde die Beobachtung dennoch interessant und frage mich, ob man daraus eine tatsächliche Strategie entwickeln könnte:
Wenn ich morgens (ganz motiviert: 5 Uhr, weniger selbstzerstörerisch: halb 7) mit dem MTB zur Isar aufbreche (Hardtail, Race-Konfiguration), habe ich eine Lieblingsstrecke, die ich meistens dann auch fahre (der Mensch liebt seine Routinen und ich kann dabei den Kopf ausschalten). Ich weiß, wie lange ich bis zu welchem Waypoint brauche, wie viele Kalorien ich dabei verbrennen sollte (manchmal bekomme ich die Herzfrequenz und damit den Kalorienverbrauch aber einfach nicht hoch, obwohl ich nicht langsamer fahre oder weniger trete – das ist mir bis dato ein Rätsel) und wie viele Kilometer es von wo bis wo sind. An manchen Stellen sind Abschnitte nur für FußgängerInnen zugelassen und ich als brave Hobbyspazierengeherin halte mich meistens auch daran. Summa summarum: Ich kenne die Strecke, ich weiß, was da passiert.
Wenn ich nun die Laufschuhe schnüre und einen langen Lauf (> 21,1km) anvisiere, laufe ich dieselbe Strecke (bzw. einen Teil davon). Das gibt mir erstens Sicherheit, weil ich weiß, wo ich bin und was auf mich zukommt. Zweitens aber erscheint mir die Strecke dann gar nicht so lang, weil ich sie ja normalerweise mit dem MTB abfahre – ich trickse quasi meinen Kopf aus, indem ich 21.1km von einer großen Laufrunde zu einer kleinen Fahrradrunde herunterskaliere – und bisher hat es auch funktioniert. In Vorbereitung auf den 42.2k muss ich auf jeden Fall noch ein paarmal mehr als 30 draußen laufen (und nicht aus Versehen wie beim ersten Mal) und ich hoffe, dass mir diese Gedankentechnik dabei helfen wird. Ich bin gespannt darauf herauszufinden, auf welche anderen Bereiche sich das noch übertragen lässt – so wie auch viele andere Aspekte des Sport auf das Leben und die Karriere anwendbar sind.
Der lustige Aspekt an der ganzen Sache ist übrigens, dass ich mich in diesem Kopfmodus dann tatsächlich dabei ertappe, auf Radwegen zu laufen oder einen Bogen um die oben genannten Abschnitte für FußgängerInnen zu machen. Da denke ich wohl wirklich, ich sei ein Fahrrad.
* Polar V800 HR JNG Special Edition mit H7-Herzfrequenzsensor (der neue H10 ist vor ein paar Monaten rausgekommen, aber der H7 reicht auch) – im Gegensatz zum „normalen“ V800 ist bei dieser Version das Display schwarz eingefasst und nicht silberfarben, was mir persönlich besser gefällt.