Wecker auf fünf Uhr vorgestellt, Kaffee vorgekocht, Rucksack vorgepackt – Sonnenbrille, Ersatzschlauch, Multiwerkzeug, Wasser, Schlüssel, Taschentuch, Pfefferminz. Vierzehn Tage Fahrrad und ein Dutzend Gegenstände mehr noch dazu; Hose, Jacke, Strümpfe, ein neues Fach in der Kommode, daneben die leeren Kartons von Licht und Pedalen; geisterhafte Platzhalter für das große Ganze, das im Keller steht.
Schuhe nicht sauber, Helm nicht poliert, Rad nicht geputzt, aber die Kleidung frisch gewaschen. Nicht nachdenken, anziehen, Schicht um Schicht. Warm eingepackt, vielleicht zu warm. Bestimmt zu warm.
GPS-Signal 100%, alle Sensoren an Herz, Hand, Vorderrad, Kurbel gepairt. Hellwach verschlafen. Die Füße auf die Pedale, den Po auf den Sattel, zwei Minuten unangenehm, dann fast schwerelos.
Grüne Welle in der Stadt, schnell an die grüne Lebensader. Ein bisschen zögerlich noch, bis der Fahrtwind die Bettwärme vertreibt.
Die Nase läuft ein wenig, die Augen tränen einmal der Ordnung halber, egal wie warm oder kalt es draußen ist.
Die Sonne geht gerade auf, aber ich war zuerst da. Zwei Kurven weiter vom Nebel verschluckt. Dafür weiß ich es jetzt besser als die Wetter-App.
Auf den Bärentatzen an Fahrt aufnehmen. Überholen lassen. Jede Fahrt ein paar Minuten länger, ein kleines bisschen schneller, etwas weniger schmerzhaft im Gesäß. Endlich den Sattel auf die richtige Höhe gestellt.
Langsam steigern, nichts überstürzen.
Ist der Lenker zu breit? Ist der Ständer uncool?
Die Schutzbleche noch vor der ersten Fahrt abmontiert.
Auf Google Maps die Route angesehen, trotzdem verfahren. Anfängerfehler? Wohl eher mein falsch programmierter Orientierungssinn.
Langsam den Wissensvorrat erweitern, Informationen verarbeiten, Techniken umsetzen, eine neue Sprache lernen: Hardtail, Cross-Country-Configuration, Drahtreifen sind neues Vokabular.
Weich dahingleiten, hart jedes Schlagloch spüren. Anhöhen hinaufkeuchen, Abhänge hinabsausen.
Gerade anfangen und schon gefangen genommen, schon nach zwei Wochen und einem Platten Feuer und Flamme.
Verrückt, nach den ersten Kilometern schon so begeistert zu sein?
Vermessen, zu denken, dass es gar nicht so schwer ist?
Vernünftig, nicht gleich wieder jeden Tag zu fahren?
Treten, denken, nicht denken. Atmen, hören, nichts hören. Ziehen, fühlen, nichts fühlen.
Warum eigentlich so früh?
Weil hier sonst niemand ist, nur an wen ich denke. Weil ich hier nichts höre, nur mich höre. Weil hier alle Gefühle genug Raum bis zum Himmel und zum Horizont haben.
Warum eigentlich nicht noch früher?
Morgen vielleicht. Heute war Pause. Es juckt in den Beinen.
Demnächst eine andere Strecke.
Ab dem Stauwehr gestern fast ganz alleine, nur ab und zu einer von hinten oder von vorn.
In die Kurven neigen, Intervalle im Wiegetritt, engere Kurven fahren, schnellere Wechsel, jedes Auf und Ab spielt seinen eigenen Rhythmus.
Wie schnell, wie viele Höhenmeter? Warum bin ich so langsam!
45 Minuten raus, Kehrtwende, 45 Minuten wieder rein. Solide anderthalb Stunden. Der Mund ist trocken, die Schuhe matschgesprenkelt.
Endlich! Das Bike zum ersten Mal schmutzig, jetzt sieht es gefahren aus. Knallrot und dreckig.
Schlamm ist die Patina der Isartrails.
Zum Laufen brauche ich Musik, auf dem Rad nur den Sound der Natur. Ohren spitzen, Acht geben, genau hinhören.
Ausfahren auf dem Weg vom Stauwehr zum Friedensengel. Hier überholt keiner, hier kommt mir ein Strom entgegen.
Hundehalter, die ihre Vierbeiner zum Sitzenbleiben zwingen. Die Tiere sehen unbekümmert aus, anders als ihre menschlichen Gefährten.
Radfahrer, die nicht nur fahren, sondern wohin fahren. In die Arbeit, nach Hause, zum Einsatzort. Mit Taschen und Gepäck, manchmal ohne Helm.
Läufer mit Stöpseln im Ohr.
Flaschensammler.
Niemand sitzt, alles bewegt sich. Die Stadt ist wach geworden, der Verkehr übertönt an manchen Stellen das Rauschen der Natur.
Die Magie des Morgens hat sich verflüchtigt. Der Nebel ebenso.
Auch dem Trubel wohnt ein Zauber inne, doch wer aus der Stille kommt, muss sich erst akklimatisieren.
Morgen noch früher. Schneller als der Sonnenaufgang, langsamer als alle anderen Fahrer.
Und jedesmal ein bisschen weiter, ein bisschen schneller.
Morgen wieder, die nächste Strophe in der Fahrradpoesie.
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